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Start Spitzensport Nationalmannschaft Geplatzte und erfüllte Träume bei Olympia

Geplatzte und erfüllte Träume bei Olympia

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Das sehr ambitionierte Ziel des Deutschen Tischtennisbundes, bei den 30. Olympischen Sommerspielen in London insgesamt zwei Medaillen zu gewinnen, konnten die Athleten tatsächlich in die Tat umsetzen. Während sich die deutschen Damen nach Achtungserfolgen erwartungsgemäß früh aus der Einzelkonkurrenz verabschieden mussten und auch im Team-Wettbewerb gegen die späteren Vize-Olympiasieger aus Japan unterlagen, hatten die Verantwortlichen des DTTB vor allem auf Aushängeschild Timo Boll im Einzel gesetzt. Die Tatsache, dass in diesem Jahr lediglich zwei Spieler pro Nation im Einzel zugelassen wurden, sollten nach Ermessen vieler Experten seine Chancen auf die lang ersehnte Medaille im Einzel erhöhen.

Doch wie in Athen 2004 und Peking 2008 hielt Boll diesem Erwartungsruck nicht stand. Der amtierende Europameister scheiterte diesmal sogar schon im Achtelfinale nach einer schwachen Leistung ausgerechnet gegen einen Europäer, den Rumänen Adrian Crisan. Doch die nötige Kaltschnäuzigkeit, die Boll anscheinend bei diesen Großereignissen zumeist abzugehen scheint, bewies dafür sein acht Jahre jüngerer Mannschaftskamerad Dimitrij Ovtcharov. Er spielte das beste Turnier seiner noch jungen Karriere und schlug im Viertelfinale den wieder erstarkten Europameister von Stuttgart 2009, den Dänen Michael Maze, in einem denkwürdigen Siebensatz-Krimi. Im Halbfinale duellierte sich Ovtcharov mit dem späteren Olympiasieger Zhang Jike drei Sätze lang auf Augenhöhe und geriet etwas unglücklich mit 1:2 in Rückstand. Der Chinese ließ sich im Anschluss den Sieg nicht mehr nehmen.

Dimitrij Ovtcharov konnte sich allerdings für das Bronzematch nochmals motivieren und krönte seine kämpferisch, spielerisch und taktisch hervorragende Leistung gegen den sehr staken Taiwanesen Chuang nach etlichen abgewehrten Satzbällen mit dem 4:2-Sieg und dem damit verbundenen Gewinn der olympischen Bronzemedaille. Darüber freute sich auch besonders Herrenbundestrainer Jörg Roßkopf, dem dieses Kunststück 1996 als einzigem weiteren Deutschen in Atlanta gelang.

Timo Boll bleibt also weiterhin ohne olympisches Edelmetall im Einzel. Auch im Mannschaftswettbewerb lief es trotz guter Trainingsleistungen nicht gut an für den Hessen: Im Achtelfinale gegen Schweden unterlag er dem 46-jährigen Weltmeister von 1991, Jörgen Persson. Der Rückstand konnte nur durch eine geschlossene Teamleistung mit Dimitrij Ovtcharov und Bastian Steger wettgemacht werden. Lautete sonst immer das Motto im Teamwettbewerb für die Punkte "2-mal Timo Boll + X", so mussten nun andere wie Ovtcharov in die Bresche springen. Und die Tatsache, dass die deutsche Nationalmannschaft mittlerweile auch in der Breite über eine hohe Qualität verfügt, ist ein äußerst positive Entwicklung und Garant für die Dominanz in Europa.

Im Halbfinale wurden die Österreicher mit einem wieder erstarkten Boll glatt und schnell mit 3:0 geschlagen. Dem vorweggenommenen Finale - wie es die deutsche Presse beschrieb - zwischen China und Deutschland stand also nichts mehr im Wege. Und es wurde zumindest zu Beginn ein hart umkämpftes Kräftemessen zweier Teams auf Augenhöhe. Ovtcharov begann stark gegen Ma Long, den Weltranglistenzweiten. Beim Zwischenstand von 1:1 in den Sätzen und 9:9 hatte Ovtcharov die einmalige Chance mit einem Schmetterball den Chinesen stark unter Druck zu setzen. Doch der Deutsche ließ diese Möglichkeit ungenutzt und brachte dadurch Ma wieder zurück ins Spiel. Nach gewonnenem dritten Satz konnte sich dieser voll entfalten und machte beim 3:1 am Schluss kurzen Prozess.

Dann folgte eine Galavorstellung von Boll: Er bezwang den amtierenden Weltranglistenersten, Weltmeister, World-Cup-Sieger und Olympiasieger Zhang Jike verdient in vier Sätzen und brachte ihm damit die einzige Niederlage in London bei. In einem Weltklassematch behielt Boll die Nerven, spielte befreit auf und setzte damit Zhang kontinuierlich unter Druck. Der Chinese reagierte bisweilen verunsichert und produzierte folglich auch ungewohnte Fehler. Boll zeigte eindrucksvoll, dass die Chinesen eben doch verwundbar sind. Dafür muss allerdings auch nahezu alles zusammenspielen.

Als dann auch Boll/Steger im Doppel noch mit 1:0 in Führung gingen, keimte wohl bei einigen Tischtennis-Fans in Deutschland ein gewisser Größenwahn auf. Man glaubte tatsächlich daran oder liebäugelte wenigstens damit, das Milliardenvolk der Chinesen in ihrem Lieblingssport Nummer 1 bezwingen zu können. Doch China beziehungsweise das Doppel Wang Hao/Zhang Jike lief nun wie gewohnt zu Hochform auf und ließ am Ende den trotzdem gut agierenden Deutschen keine Chance.

Das erwartete 0:3 setzte es dann für Bastian Steger im letzten Einzel und China zog einmal mehr ins Finale ein. Die DTTB-Auswahl hatte sich jedoch hervorragend verkauft und musste sich nichts vorwerfen lassen. Außerdem konzentrierte sich die deutsche Equipe schon wieder auf das Spiel um Bronze, das gegen Hongkong-China gewonnen werden sollte. In einem hochkarätigen Spiel um den dritten Treppchenplatz mussten sich Boll, Ovtcharov und Steger noch einmal mächtig strecken, um das begehrte Edelmetall zu sichern. Nach Einzelerfolgen von Ovtcharov und Boll unterlag das neu zusammengestellte Doppel Ovtcharov/Steger der eingespielten Links-rechts-Kombination aus Hongkong klar in raschen drei Sätzen. Es blieb letztlich Boll vorbehalten, die Medaille zu sichern - wie übrigens auch im Halbfinale 2008 in Peking gegen Japan. Trotz seines 3:8-Rückstandes bei 2:1-Satzführung konnte Boll noch einmal zurückkommen und seinen zweiten Matchball zum 11:9 gegen Jiang verwandeln.

Die Freude war riesig bei Trainer Roßkopf und seinen Schützlingen. In der Box feierte die Mannschaft ausgelassen und ausgiebig unter dem Jubel des Publikums. Und gerade für Timo Boll, der sich für seinen guten Freund Dimitrij Ovtcharov über dessen Einzelmedaille mitfreute, klang das wichtigste Turnier im Wettkampf-Kalender äußerst positiv aus. Er zeigte sich zum Wohlwollen seiner Fangemeinde endlich wieder in Weltklasseform und war wichtiger Bestandteil dieses großen Erfolgs.

Zuletzt aktualisiert am Mittwoch, den 08. August 2012 um 18:06 Uhr  

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